„Hilfe, meine alte Nadel klingt besser!“

„Hilfe, meine alte Nadel klingt besser!“

Klang ist immer subjektiv und lebt gerne von Erinnerungen.
Oftmals empfinden Menschen den Klang von alten oder auch preisgünstigen Schallplattennadeln als ‚frischer‘ oder ‚heller‘. Aber woran liegt das?

Die subjektive Wahrnehmung

Selbst wenn eine ältere Nadel aufgrund von Verschleiß bei hohen Tönen auf der Schallplatte Verzerrungen aufweist, empfinden Menschen diese Verzerrungen oft nicht als störende Klangfehler. Vielmehr erleben sie sie als eine Steigerung der Helligkeit und Brillanz in der Musik. Dieses Phänomen ist eng mit der menschlichen Wahrnehmung von Klangfarben, auch Timbre genannt, verbunden.

Zusätzlich bietet das „vertraute Klangbild“ oft ein gewisses Ideal, das Hörer möglicherweise verbessern möchten, ohne das Grundideal zu verändern. Jedoch ist auch klar, dass jede Verbesserung zwangsläufig auch eine Veränderung mit sich bringt. In diesem Zusammenhang ist es entscheidend, sich von alten Hörgewohnheiten und Vorstellungen zu lösen und neutral zu beurteilen, um die neuen Klangcharaktere zu erfassen. Ein nützlicher Schritt bei dieser Umstellung ist häufig das Hören neuer und bisher ungehörter Schallplatten, um eine breitere Perspektive zu gewinnen.

Die Rolle der Frequenzen

Wussten Sie eigentlich, dass unsere Ohren eine besondere Empfindlichkeit für hohe Frequenzen aufweisen, selbst wenn die Hörfähigkeit im höheren Frequenzbereich im Laufe des Alters tendenziell abnimmt? Wenn die Nadel Verzerrungen in höheren Frequenzen erzeugt, reagiert unser Gehör oft, indem es diesen Bereich des Klangspektrums verstärkt. Diese Reaktion kann dazu führen, dass die hohen Töne verstärkt wahrgenommen werden, was den Klang heller oder brillanter erscheinen lässt.

Hochwertige und nahezu optimal abtastende Schliffe wie beispielsweise Shibata oder SAS klingen daher nicht wie oft erwartet heller, sondern sauberer und detailreicher. Auf den ersten Blick mögen sie im oberen Frequenzbereich zurückhaltender wirken, was jedoch klanglich durchaus vorteilhafter und auch technisch korrekter ist.

Der Zeitfaktor

Neue Nadeln, insbesondere solche mit elliptisch geschliffenen Diamantspitzen oder auch sphärisch geschliffene Nadeln aus synthetisch hergestellten Diamanten, durchlaufen häufig einen Prozess des „Polierens“ oder „Einspielens“. Dieser Prozess ist notwendig, da die Diamantspitze zu Beginn möglicherweise noch nicht perfekt abgerundet ist oder geringfügige Fertigungsrauheiten aufweisen kann.

Während der ersten Betriebsstunden auf der Schallplatte erfolgt ein schrittweiser Abtrag von Material von der Spitze der Nadel. Dies führt dazu, dass die Diamantspitze im Laufe der Zeit allmählich glatter und präziser wird, was wiederum eine bessere Abtastung der Rillen ermöglicht.

Die Bedeutung des Dämpfers

Zusätzlich dazu spielt das Gummiteil in der Schallplattennadel eine wichtige Rolle. Dieses Gummiteil, oft als Dämpfer oder Aufhängung bezeichnet, ist zu Beginn steifer und die Bohrung für den Ausleger ist möglicherweise nicht zu 100% exakt. Dies kann dazu führen, dass der Ausleger leicht schräg steht und es bei der Abtastung zu einer Kanalungleichheit kommt.

Im Laufe der Zeit, insbesondere während der Einspielzeit, passt sich der Gummi an die Vibrationen und Bewegungen sowie Zugrichtung an. Dadurch wird die Bewegung der Nadel geschmeidiger, was zu einer präziseren Abtastung der Rillen führt.

Die Gesamtkombination

Die Kombination dieser Faktoren, darunter das „Polieren“ der Diamantspitze und die Anpassung des Gummis, trägt maßgeblich zur Verbesserung der Klangqualität und der Leistung einer Schallplattennadel bei. Die genaue Dauer der Einspielzeit kann je nach Nadelmodell variieren, jedoch wird in der Regel ein Zeitraum von 10 bis 20 Stunden empfohlen, um sicherzustellen, dass die Nadel ihre optimale Leistung erreicht.

Zusätzliche Informationen

Für weitere Informationen und vertiefende Lektüre empfehle ich folgende Quellen:

  • M. Richards, „The Audio Expert: Everything You Need to Know About Audio,“ Focal Press, 2012.
  • D. E. Hall, „Musical Acoustics: An Introduction,“ Wadsworth Publishing, 2010.
  • J. Eargle, „The Microphone Book: From Mono to Stereo to Surround – A Guide to Microphone Design and Application,“ Focal Press, 2012.

Fazit

Unsere Fähigkeit, Klang zu erleben und zu bewerten, ist äußerst komplex und von individuellen Vorlieben sowie von den Hörgewohnheiten jedes Einzelnen geprägt. Daher kann es vorkommen, dass Verzerrungen, die aus technischer Sicht nicht ideal sind, subjektiv als positiv oder angenehm wahrgenommen werden, da sie dem Klang eine gewisse Charakteristik verleihen. Gönnen Sie sich und ihrer neuen Nadel daher etwas Zeit und beurteilen Sie neue Nadeln gerne vorurteilsfreier mit neuen bisher ungehörter Vinylaufnahmen.